Die Schweiz fordert von Ländern des globalen Südens in Verhandlungen für Freihandelsabkommen die Einführung eines Sortenschutzrechts nach UPOV 91. Mit Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse haben jedoch weder die Schweiz selbst noch die EFTA-Staaten Norwegen und Liechtenstein die Anforderungen von UPOV 91 im nationalen Recht umgesetzt. Sie verlangen von den Handelspartnern somit mehr, als sie für sich selbst für gut befinden.
Die Anforderungen von UPOV 91 entsprechen auch nicht den Bedürfnissen der Länder des globalen Südens, welche in ihren Sortenschutzgesetzen – wie die Schweiz und Norwegen – die Bauernrechte stärker gewichten als unter UPOV 91 erlaubt. In den Ländern des globalen Südens sind diese Bauernrechte zentral für die Ernährungssicherheit und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. So kommt der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, in seinem Bericht von 2022 zum Schluss, dass die Umsetzung von UPOV 91 sowohl die Ernährungssicherheit als auch die Agrobiodiversität gefährdet. Er verurteilt explizit, dass Staaten des globalen Südens über Handels- abkommen dazu gedrängt werden, UPOV beizutreten und fordert dazu auf, diese Praktik zu stoppen.
Schliesslich bringt die Durchsetzung von UPOV 91 in den Ländern des globalen Südens weder dem Forschungsstandort Schweiz noch der Schweizer Wirtschaft einen Nutzen. Deshalb soll von einer UPOV-Klausel bei Verhandlungen für Freihandelsverträge abgesehen werden.
Worum geht es genau und was sind die Hintergründe? Wir geben Antworten auf 10 wesentliche Fragen in diesem Zusammenhang.
10 Antworten auf 10 zentrale Fragen
UPOV ist das Kürzel für den Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen. Die zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf verfolgt das Ziel, mit dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen («UPOV-Akte») weltweit ein einheitliches System für den Sortenschutz zu fördern. Sortenschutz ist ein dem Patent vergleichbares Ausschliesslichkeitsrecht und schützt das geistige Eigentum an Pflanzenzüchtungen.
UPOV wurde 1961 von 12 europäischen Ländern verhandelt. Um Mitglied zu werden, müssen die Staaten Sortenschutzbestimmungen einführen, die mit der aktuellen Fassung der UPOV-Akte übereinstimmen. Derzeit gibt es zwei verschiedene Fassungen: Während Mitglieder, die UPOV vor April 1999 beigetreten sind, bei der älteren Akte von 1978 (UPOV 78) bleiben können, müssen neue Mitglieder die strengere Akte von 1991 (UPOV 91) einhalten. UPOV 91 ist ausgesprochen problematisch, da sie die Rechte der Landwirtinnen und Landwirte am Saatgut stark einschränkt. Gegenwärtig sind 76 Länder und zwei zwischenstaatliche Organisationen Mitglied der UPOV, von denen einige erst nach der Unterzeichnung von Handelsabkommen mit der EU, der Schweiz oder den USA beigetreten sind.
UPOV ist jedoch nur eine von vielen Wegen, den Schutz von Pflanzenzüchtungen einzuführen. Viele Länder des globalen Südens wie Indien, Thailand, Philippinen, Malaysia, Äthiopien, Sambia und weitere haben ein Sortenschutzrecht eigener Art eingeführt, welches zu grossen Teilen mit UPOV übereinstimmt, aber die spezifischen Bedingungen und Bedürfnisse des eigenen Landes miteinbezieht und insbesondere die Rechte der Bäuerinnen und Bauern stärker berücksichtigt. Aus demselben Grund sind praktisch alle lateinamerikanischen Länder, aber auch China, Südafrika, Neuseeland und Norwegen nach wie vor Mitglied von UPOV 78 und lehnen einen Beitritt zu UPOV 91 ab.
Mindestens die Hälfte der Lebensmittel weltweit werden von kleinbäuerlichen Betrieben produziert. Insbesondere in Ländern des globalen Südens beziehen diese Betriebe ihr Saatgut aus der eigenen Ernte, von Nachbarinnen und Nachbarn oder dem lokalen Markt, sprich aus bäuerlichen Saatgutsystemen.
Ihre Produktion – und damit die Ernährungssicherheit von Milliarden Menschen – basiert somit auf dem freien Zugang zu Saatgut aus bäuerlichen Systemen. In weiten Teilen Afrikas bilden diese das Rückgrat der lokalen Landwirtschaft. Eine Studie von 2016 hat die Produktion von 40 Kulturpflanzen in sechs afrikanischen Ländern ausgewertet. Sie kam zum Schluss, dass Bauern und Bäuerinnen bis zu 90 Prozent ihres Saatguts aus den bäuerlichen Systemen bezogen. Damit sind diese lokalen Saatgutsysteme unerlässlich für die Ernährungssicherheit.
Mit den neuen Gesetzen werden die Bauern und Bäuerinnen ihr Saatgut jedes Jahr teuer von den Agrarfirmen kaufen müssen. Wer gegen diese Gesetze verstösst, muss in einigen Ländern gar mit Haftstrafen rechnen.
Die Vielfalt der in Genbanken gespeicherten, auf Feldern und in Gärten auf der ganzen Welt angebauten Sorten ist das Resultat der bäuerlichen Züchtungspraxis über Jahrhunderte. Erhalt und Weiterentwicklung der Vielfalt hängen wesentlich von funktionierenden bäuerlichen Saatgutsystemen ab. Das zeigt auch eine Studie von 2020: Die genetische Vielfalt von 27 Kulturpflanzenarten wird grösstenteils in kleineren Betrieben und auf Gemeinschaftsebene erhalten, indem diese traditionellen Pflanzensorten angebaut werden.
Die Verdrängung genetisch vielfältiger traditioneller Sorten durch genetisch einheitliches, modernes Saatgut zählt zu den wichtigsten Gründen für die aktuelle genetische Erosion. Das UPOV-System fördert diesen Prozess, indem es mächtigen kommerziellen Züchterfirmen das Recht auf ein durch geistige Eigentumsrechte sanktioniertes Monopol einräumt. Dieses Recht wird nur gewährt, wenn die Sorte genetisch einheitlich ist. UPOV schränkt daher automatisch ein, wer auf dem Saatgutmarkt tätig werden und welche Art von Saatgut in Umlauf gebracht werden kann. Der Verlust der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft beschneidet die Fähigkeit der Landwirtinnen und Landwirte, ihre Produktion an neue Herausforderungen insbesondere durch den Klimawandel anzupassen.
Je nach Kulturpflanze verwenden Kleinbauernbetriebe nicht nur lokales, hofeigenes Saatgut, sondern auch kommerzielles, sortengeschütztes Saatgut. Oft wird die Verbreitung dieses Saatguts durch den Staat oder Entwicklungsprojekte unterstützt. So gelangt sortengeschütztes Saatgut in die bäuerlichen Saatgutsysteme. Dabei laufen die Bäuerinnen und Bauern Gefahr, kriminalisiert zu werden, wenn sie ihre bisherige Praxis weiterführen und das Saatgut lagern, tauschen oder verkaufen.
Bei der Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen enthält der von der Schweiz eingebrachte Ausgangstext jeweils eine Klausel, in der die Partnerländer aufgefordert werden, entweder UPOV 91 beizutreten oder «die materiellen Bestimmungen der UPOV-Akte von 1991 zu erfüllen». Gemäss dem SECO ist die UPOV-Klausel keine zwingende Voraussetzung für den Abschluss von Handelsabkommen. Es sei möglich, auf die Bedürfnisse der Partner einzugehen und individuelle Lösungen zum Sortenschutz zu finden. Dies wird jedoch nur dann der Fall sein, wenn das Partnerland auf eine Änderung der Klausel besteht und bereit ist, in anderen Bereichen Zugeständnisse zu machen. In vielen Ländern räumen die Regierungen den Rechten der Landwirtinnen und Landwirte keine Priorität ein und die bäuerlichen Organisationen haben keine Möglichkeit, die Verhandlungen zu beeinflussen. Damit wird auch das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf Partizipation missachtet, das im Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA) und in der UN-Erklärung über die Rechte der Kleinbäuerinnen und -bauern (UNDROP) verankert ist.
Die Bestimmungen der UPOV stehen im krassen Widerspruch zu den Rechten der Landwirtinnen und Landwirte auf Saatgut, wie sie in mehreren UN-Verträgen und Konventionen dargelegt und vereinbart wurden, zum Beispiel im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), dem ITPGRFA und der UNDROP. In der letztgenannten Erklärung heisst es, dass die Staaten «Massnahmen ergreifen müssen, um das Recht der Bäuerinnen und Bauern und anderer in ländlichen Gebieten arbeitender Menschen auf Saatgut zu achten, zu schützen und zu erfüllen», wozu auch das Recht gehört, ihr auf dem Hof gewonnenes Saatgut oder Vermehrungsmaterial aufzubewahren, zu nutzen, auszutauschen und zu verkaufen, sowie, u.a., das Recht auf den Schutz traditionellen Wissens.
Nein. Die UPOV-Klausel von 1991 lässt den Regierungen der Länder im globalen Süden keinen politischen Spielraum für den Erlass von Bestimmungen, die sie zur Umsetzung von Artikel 9 (Rechte der Landwirtinnen und Landwirte) des ITPGRFA für erforderlich halten. Artikel 9 besagt, dass es Aufgabe der Regierungen ist, Massnahmen zum «Schutz und zur Förderung» der Rechte der Bauern und Bäuerinnen zu treffen. UPOV ist mit dem ITPGRFA unvereinbar, wenn es um das Recht der Landwirtinnen und Landwirte geht, auf dem Hof gewonnenes Saatgut und anderes Vermehrungsmaterial aufzubewahren, zu verwenden, auszutauschen und zu verkaufen.
Solange die Forderung nach UPOV 91-konformen Sortenschutzgesetzen im Verhandlungsentwurf steht, löst dieser zusätzliche Artikel das Problem nicht. Während der Beitritt zur UPOV eine wörtliche Umsetzung der Akte in nationales Recht erfordert, ist dies bei den anderen im neuen Artikel genannten Abkommen nicht der Fall. Die Beibehaltung der UPOV-Anforderung und die Hinzufügung eines neuen Artikels über andere internationale Übereinkommen führt nur zu neuen Konflikten.
Die Schweiz setzt UPOV 91 nicht vollständig um. Das schweizerische Sortenschutzgesetz erlaubt die Verwendung von Vermehrungsmaterial aus landwirtschaftlichen Betrieben für verschiedene Kulturpflanzen wie Weizen oder Kartoffeln ohne jegliche Beschränkung oder Zahlung von Lizenzgebühren. Dies war eine der Hauptforderungen der Landwirtinnen und Landwirte, als das Gesetz im Parlament verhandelt wurde. Obwohl die Schweiz also UPOV 91 ratifiziert hat, erfüllt unser Sortenschutzgesetz deren Anforderungen nicht.
Norwegen entschied sich 2005 explizit gegen die Umsetzung von UPOV 91 in nationales Gesetz. Die Regierung kam zum Schluss, dass UPOV 91 zu einer unnötigen Einschränkung der bäuerlichen Rechte auf Lagerung, Wiederverwendung und den Tausch von Saatgut führen würde. UPOV 78 biete demgegenüber ein besseres Gleichgewicht zwischen den Rechten der Landwirtinnen und Landwirten und denen der Züchterinnen und Züchter bzw. Saatgutfirmen.
Liechtenstein hat überhaupt kein Sortenschutzgesetz, obwohl es durch verschiedene EFTA-Handelsabkommen seit 23 Jahren verpflichtet wäre, UPOV 91 umzusetzen. Liechtenstein würde gerne durch die Übernahme der schweizerischen Regelung UPOV-Mitglied werden. Dies ist jedoch nach Auskunft der liechtensteinischen Regierung nicht möglich. Damit wird indirekt bestätigt, dass die schweizerische Regelung nicht mit den Anforderungen von UPOV 91 übereinstimmt.
Lediglich Island setzt UPOV den Buchstaben nach um. Doch gibt es zurzeit keine einzige Sorte, welche unter Sortenschutz steht.
Die Schweiz und Norwegen waren bereits Mitglieder der UPOV, als UPOV 91 angenommen wurde. Sie konnten wählen, ob sie bei UPOV 78 bleiben oder auf UPOV 91 umsteigen wollten. Im Jahr 2005 wurde in Norwegen die Möglichkeit einer Aktualisierung auf UPOV 91 erörtert. Wie unter Punkt 8 erläutert, entschied sich das norwegische Parlament gegen die Übernahme der UPOV 91-Standards.
Die Schweiz entschied sich für eine Aktualisierung auf UPOV 91. In ihrem revidierten Sortenschutzgesetz setzte sie die Bestimmungen von UPOV 91 jedoch nur teilweise um, indem sie den Landwirtinnen und Landwirten bei einigen Pflanzensorten weiterhin den freien Nachbau von Saatgut gestattet. Dies war möglich, da das UPOV-Sekretariat nur die Einhaltung der Vorschriften neuer Mitglieder überprüft, nicht aber eine Aktualisierung durch Länder, die bereits UPOV-Mitglied sind.
Im Gegensatz zu diesen Entscheidungen der EFTA-Mitglieder lässt die Klausel in den Handelsabkommen den Partnerländern keine andere Wahl, als UPOV 91 umzusetzen. Von Ländern des globalen Südens Gesetze zu verlangen, die sie selbst für unangemessen halten, ist heuchlerisch und ungerecht. Dies umso mehr, als die Rechte der Bauern und Bäuerinnen in den Ländern des globalen Südens für die Ernährungssicherheit noch wichtiger sind als in der Schweiz, Norwegen oder Liechtenstein.
Die UPOV 91-Anforderungen in den Ländern des globalen Südens durchzusetzen, liegt nicht im übergeordneten nationalen Interesse der Schweiz. Es gibt nur ein einziges in der Schweiz ansässiges Unternehmen, das theoretisch von einer solchen Bestimmung profitieren könnte, wobei sich das Unternehmen im Besitz von China befindet und der Hauptsitz seines Saatgutgeschäfts in Chicago liegt. Diejenigen Unternehmen, die in der Schweiz Pflanzenzucht betreiben, sind darauf spezialisiert, Sorten zu entwickeln, welche gut den hiesigen Bedingungen angepasst sind. Ihre Märkte liegen in der Schweiz und in den umgebenden Ländern. Mehrere dieser Unternehmen unterstützen das Anliegen, künftig keine UPOV-Klauseln in Handelsverträgen mehr zu fordern.